bemalte Mauer mit Stacheldraht um das alte Camp Moria

Freiwilligendienst auf Lesbos – Abschlussworte

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Dienstag Abend sind wir wieder in Solingen angekommen.

Nach über 24h des Unterwegsseins waren wir wirklich erschöpft. Es ist aber alles gut verlaufen.

Kurz bevor wir am Solinger Hauptbahnhof angekommen waren, befiel mich ein eigenartiges Gefühl, was auch nicht verschwunden war, als wir aus dem Zug gestiegen waren.

Es war für mich sehr schwierig, quasi von null auf hundert wieder mit dem Alltag vor Lesbos und der Familie, den Freunden und den Lebensstandards konfrontiert zu werden.

Ich konnte damit jedenfalls Dienstag nicht gut umgehen. 

Das Gefühl lässt sich, glaube ich, am besten als Fremdheit oder „Fehl am Platz sein“ beschreiben. So habe ich mich auf jeden Fall gefühlt.

Auch wenn es mit der Woche und dem wieder etwas Eingewöhnen besser geworden ist, bereiten mir gewisse Situationen, die in einem „Leben des Überflusses“ existieren, noch Schwierigkeiten. 

Aber dieses Gefühl empfinde ich als gar nicht allzu negativ.

Im Grunde hat mir die Zeit auf Lesbos vor allem den Blick dafür geöffnet, wie gut es mir geht, was gravierende Probleme sind und was wirklich zählt. Dinge, die in einem „Leben des Überflusses“ oftmals verschoben sind.

Es ging bei dem Freiwilligendienst darum, Menschen zu helfen. Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Es ging darum, alles von uns zu geben, was wir können, als jemand, der im Leben „genug“ hat, um größtenteils sorgenfrei und privilegiert zu leben. Wir wollten diese glückliche Voraussetzung nutzen. 

Denn es ist reines Glück, dass wir in Deutschland geboren sind. Dass wir in Sicherheit leben können, dass wir ein Dach über dem Kopf haben, dass wir eine Familie haben, die uns unterstützen konnte (ohne die der Freiwilligendienst überhaupt nicht möglich gewesen wäre) und dass wir Zugang zu guter Bildung haben. All das ist reiner Zufall. Wir hatten einfach Glück.

Dieses Bewusstsein war der Grundstein für den Freiwilligendienst.

Verbunden aber mit dem Wissen, dass ich Menschen, die weniger zufälliges Glück hatten, nicht helfe, indem ich mich in dem Unfairgedanken verliere, (was durchaus schnell passieren kann), sondern indem ich mein Glück sinnvoll nutze und weitergebe.

Seit wir wieder da sind, wurde ich oft gefragt: „Wie war es denn?“. Bei dieser Frage schwirren mir aber natürlich Tausende Bilder und Eindrücke durch den Kopf und meistens habe ich dann mit dem Adjektiv „prägend“ geantwortet. Ich glaube, das beantwortet die Frage am besten, ohne ins Detail zu gehen.

Es war nämlich nicht nur „schön“, oder „aufregend“ oder „anstrengend“ oder „bedrückend“. Es war so viel mehr, was mich wirklich geprägt hat. 

Es gab Momente, die waren unglaublich schön. Zu sehen, wie die Kinder sich gefreut haben, wenn sie uns gesehen haben, wenn sie mit uns kommunizieren konnten, wenn sie etwas Richtiges gesagt haben. Mit RAD zusammen zu tanzen.
Oder wenn die Frauen davon berichtet haben, wie stolz sie auf ihre erworbenen Rechte als Frauen sind.

Und dann gab es auch Momente, die waren richtig aufregend. Wer bekommt seine Papiere? Dürfen die Kinder oder Frauen aus dem Camp? Müssen die Geflüchteten, die zeitweise in der Stadt gelebt haben, wirklich zurück ins Camp? Wieso brennt das Camp? Wie schlimm ist der Brand?

Anstrengend waren die Essensausgaben für die Geflüchteten aus der Stadt. Oder klägliche Versuche, irgendwie die „language barrier“ zu durchbrechen. Und das Problem, nichts sicher planen zu können und immer spontan handeln zu müssen. 

Es gab auch bedrückende, fast schon traurige Momente. Momente, in denen ich keine Worte fand, um Menschen aufzumuntern: Wenn die Frauen von ihrer Geschichte erzählt haben. Wenn Nazari seinen Frust geschildert hat. Wenn Hashmat weggelächelt hat, dass alle seine Freunde und seine Freundin weg sind und er auf Lesbos festsitzt. 
Oder wenn wir Menschen keine Lebensmittel aushändigen konnten.
Und natürlich, wenn wir erlebt haben, wie Griechenland und auch Europa mit den Menschen umgehen: Wenn wir vor dem mit Stacheldraht und Sichtschutz abgeschirmten und polizeikontrollierten Camp standen, wenn ein Geflüchteter mal wieder eine „rejection“ erhalten hat, wenn sie eine hohe Strafe zahlen mussten, wenn sie das Camp verlassen, obwohl ihre Nummer an dem Tag gar nicht an der Reihe war…

Und inspirierend war zu sehen, wie positiv, optimistisch und voller Freude die Menschen, die wir kennengelernt haben, durch das Leben gehen. Wie sie, obwohl (oder gerade weil) sie nicht im Überfluss leben, teilen, was sie haben, große Dankbarkeit für jegliche Art der Hilfe empfinden, sich an kleinen Dingen erfreuen und von ihrer Geschichte und Situation als „verrückte Zeiten, jetzt wird alles besser“ erzählen und nicht in Wehmut versinken.

Sie haben mir noch einmal ganz neu gezeigt, was Stärke, Glück und was Dankbarkeit ist.

All diese Emotionen, all diese Erfahrungen, all meine Gedanken und all die Menschen, die wir kennenlernen durften, haben mich geprägt und meine Denkweise positiv verändert.

Und dafür bin ich unendlich dankbar.

Ich hätte mir keinen besseren Ort für die letzten zwei Monate wünschen können und keine besseren Aufgaben. 

Seit Tag eins in der Organisation wurden wir „Teil der Familie“. 

Wir haben viel Verantwortung übertragen bekommen, besonders mit der Englischklasse.
Wir haben die griechische, afghanische und kongolesische Kultur kennengelernt. 
Ich durfte Frauen auf ihrem Weg der Selbstwerterkennung und bei dem Umgang mit ihren Emotionen unterstützen. 

Obwohl unser Freiwilligendienst auf Lesbos ursprünglich ganz anders geplant war und der Kontakt zu Siniparxi aus einem glücklichen Zufall entstanden war und wir bis zu unserer Ankunft nicht viel von der Organisation und ihrer Arbeit wussten, hätte uns nichts Besseres passieren können. In keiner anderen Organisation hätten wir so viele unterschiedliche Aufgaben übertragen bekommen und so viele enge Kontakte zu Menschen aus jeglichen Kulturen knüpfen können.

Und das war eigentlich das wichtigste; denn auch wenn die Erinnerungen irgendwann einmal verblassen, die Menschen bleiben. Denn diese waren es, die unseren Freiwilligendienst so wertvoll gemacht haben.

Und deshalb gilt auch ganz sicher: Es ist kein Goodbye, nur ein „See you later“.


Danke, dass ihr euch für die Arbeit beim Freiwilligendienst, sonstige Erlebnisse auf Lesbos und Gedanken meinerseits interessiert habt.
Falls ihr weitere Fragen oder Anmerkungen habt, lasst es mich gerne in den Kommentaren wissen.

Ich hoffe, ich konnte euch nahebringen, wie immer noch aktuell und wichtig die Situation der Geflüchteten auf Lesbos ist und wie dringend weiterhin Hilfe gebraucht wird. Lange Zeit fehlte hier nämlich die Aufmerksamkeit…

Sonntag, den 05.12., ist Papst Franziskus ins Camp gekommen. Len und Christian durften mit ihm sprechen und Mercene und Trisila haben ihn persönlich getroffen. Eine Videoaufnahme und ein Foto von Mercene mit dem Papst sind durch sämtliche Medien (auch dem Titelbild des Solinger Tageblatts) gegangen. Ein Teil aus Lesbos jetzt sogar in Solingen… Wahnsinn! Ich freue mich so für die beiden!

Es ist toll, dass so noch einmal viel Aufmerksamkeit auf das Camp und die Situation der Geflüchteten in ganz Griechenland gelenkt wurde.