Bild Camp Moria

Lesbos – Woche 1: People help the People

Start

Am 02.10. sind wir morgens früh auf Lesbos gelandet.

Vom kleinen Flughafen der Hauptstadt Mytilini hat uns ein befreundeter Taxifahrer unserer Vermieterin abgeholt und zum Apartment gefahren, wo sie uns dann die Schlüssel übergeben hat.

Wir wohnen nah am Hafen, über einem Café, direkt gegenüber vom „stadium“, was als Ortsreferenz auch bisher immer gut funktioniert hat.

Nachmittags sind wir dann das erste Mal zu unserem neuen Arbeitsplatz gelaufen. Von uns aus sind es 25 Minuten durch die Innenstadt. Diese besteht aber eher aus einer langen durchfahrtsbeschränkten Gasse. 

In einer kleinen Straße kurz vor dem Meer befindet sich die Organisation. Sie heißt „Sinparxi“ und kümmert sich vor allem um wöchentliche Essensausgaben für Geflüchtete im Camp. Das ist auch so ziemlich alles, was wir bis dato von ihrem Engagement wussten.

Wider meinen Erwartungen ist Lesbos aber gar nicht so eine verschlafene Insel. An der Hafenpromenade der Hauptstadt Mytilini befinden sich viele Restaurants und moderne Bars, in denen wir bereits viele junge Leute angetroffen haben. Auch Verkehr gibt es hier ordentlich.


Pinienwald auf Lesbos

Am Sonntag haben wir uns den Strand, einen Meer-Wanderweg und ein paar ausgelagerte Universitätsgebäude angeschaut. Denn auch die gibt es hier, sogar ziemlich renommiert, wie sich herausstellte.


Montag, den 04. 10., ging es dann mit unserem Freiwilligendienst richtig los. Wir sollten aber erst um 10 Uhr da sein, hatte uns Christina, unsere bisherige Ansprechpartnerin, mitgeteilt. Die Organisation betreten, musste ich erst einmal schmunzeln. Das „Office“ ist tatsächlich eine alte Taverne, geschmückt mit diversen Antiquitäten. Eigentlich sieht es fast aus wie ein Innenhof, da kleine Häuschen im Gebäude selbst verbaut sind.

alte Bar der Organisation mit Antiquitäten
„Bar“ von Siniparxi

Begrüßt wurden wir direkt sehr freundlich von Rouddy mit einem „Heeey, welcome!“ Rouddy ist der „unpaid CEO“ der Organisation, der aber eigentlich eine eigene Organisation „RAD Music International“ leitet. Er hat die Koordination von Siniparxi irgendwann mitübernommen.

Auch Stratis, der Präsident der Organisation, hieß uns herzlich willkommen. Er hat uns kurz erzählt, was heute ansteht: Foodbags packen. 

Christina trudelte auch ins Office ein und wir unterhielten uns zunächst über unsere Wohnung, den Strand, das Wetter und die politische Lage auf Lesbos.

Es waren auch noch andere „Volunteers“ vor Ort. Aber anders als wir, sind sie selbst Geflüchtete, die mittlerweile nicht mehr im Camp wohnen. Bisher haben sie jedoch nur „rejections“, wie sie sagen, für Asylanträge bekommen.

Es ist wirklich besonders, dass Geflüchtete selbst anderen Geflüchteten in einer ähnlichen Lage helfen. Sie geben alles, was sie können, ungeachtet ihrer eigenen Situation. Mir kam direkt das Motto bzw. der Songtitel „People help the People“ in den Kopf. 

Als eine Lebensmittellieferung ankam, bildeten die Volunteers sofort eine Menschenkette. Max und ich eilten dazu. Rouddy sagte zu mir: „Not you. It’s too hard work for a lady. You will get tired.“ Ich nahm es als nette Geste auf und antwortete: „No, no. I can do that.“ „You sure?“, fragte Rouddy noch einmal und ich nickte. Teilweise waren die Pakete dann doch wirklich sehr schwer, aber ich bin schließlich hier, um zu helfen.

Direkt nach der Schlepperei sagte Ben, ein weiterer Volunteer, der genau wie Rouddy vor ein paar Jahren aus dem Kongo geflohen ist, zu mir: „Celia, have a seat. Take some rest.“ „No, I don’t need to rest“, antwortete ich und half lieber dabei, einen Mehlsack zu öffnen. An dieses andere Frauenbild werde ich mich noch gewöhnen müssen… 

Besonders gut ist das Englisch der Volunteers nicht, aber als mich eine Afghanin an der Hand nahm „my friend“ sagte, sich auf eine Palette setzte und neben sich deutete, wusste ich, ich konnte ihr helfen, die Kartoffeln in die Tüten zu füllen. Da wir die Kartoffeln immer genau abzählen, zählte ich mit ihr gemeinsam auf Englisch bis 10. Als ich erzählte, dass ich aus Deutschland komme, zählte ich die nächsten Male auf Deutsch. Sie hat mich angestrahlt und gesagt: „Germany good. All my friend say: People good.“ Ich lächelte ihr zu, wusste gar nicht genau, was ich ihr sagen sollte. Ja, Deutschland ist ein gutes Land und hat viele gute Menschen. Aber ist das nicht in jedem Land der Fall?

Wir haben alles Mögliche in die Tüten gefüllt: Zwiebeln, Öl, Tee, Nudeln, Tomatensauce, Kekse, Milch, Dosenfisch, Mehl, Zucker, Bohnen, Reis… Die meisten der Spenden sind tatsächlich aus Deutschland. Sie kommen von einer anderen deutschen Organisation „Leave no one Behind“. Oft sollten Max und ich übersetzen, was die Aufschriften bedeuten.

Rouddys irreführende Anweisung: „one one“ verstanden wir schnell: In jede Tüte ein Lebensmittel. Wichtig war: Wir haben unterschiedliche Tüten für unterschiedliche Volksgruppen gepackt. So bekamen die afghanischen Geflüchteten andere Dinge als die afrikanischen. Und immer wurden die Tüten genau abgezählt, die Proportionierung improvisatorisch mit beiden Händen abgewogen und kontrolliert. Rouddy erklärte uns, dass eben alles zu 100 Prozent gerecht zugehen muss, sonst gibt es Streit unter den Geflüchteten. 

gepackte Lebensmitteltüten in der Organisation
sortierte Foodbags nach dem Packen

Durch das gemeinsame Tütenpacken haben wir auch Nazari kennengelernt. Er kam vor zwei Jahren aus Afghanistan, hatte für ein paar Monate im Camp gelebt und lebt jetzt in Mytilini. Es ist schwierig, ihn zu verstehen, aber er zeigt gerne Bilder von seinem Heimatland und freut sich immer, wenn wir schnell mit der Arbeit fertig werden. Dafür braucht es kein Englisch. 

Mittags hat Rouddy Souvlaki im Pita für alle bestellt. Beim Essen haben wir Christian kennengelernt, der sich riesig gefreut hat, dass wir etwas Französisch sprechen. Er hat sofort mit Höchstgeschwindigkeit auf uns eingeredet. Die Antwort „Oui, oui, alors“ und ein Schulterzucken von Max haben seine Sätze aber anscheinend zufriedenstellend beantwortet.

Jedes Mal, wenn Christian jetzt in der Organisation ist, sucht er das französische Gespräch mit uns. Auch nur ein „Ça va?“ scheint ihm viel zu bedeuten.

Wir packten Toilettenpapiertüten, haben die foodbags gezählt und sie nach Volksgruppen organisiert, damit am Dienstag für die Essensausgabe alles schnell geht. 

Um 15 Uhr war unsere Arbeit getan. Auch wenn es nur fünf Stunden waren, war das schnelle und oftmals schwere Packen durchaus anstrengend. 

Als wir die Organisation verließen, haben sich alle für unsere Hilfe bedankt. Das war uns sehr unangenehm. Schließlich sind wir genau dafür hier. Tatsächlich hat die Organisation aber auch sonst nie Freiwillige, die keine Geflüchteten sind. Im Laufe der Woche haben sie sich aber mit unserer dauerhaften Hilfe angefreundet.

Abends um 20 Uhr gab es ein Siniparxi group-meeting. Wer lernten den „council“ kennen. Die Gründer, Organisatoren, der Kassenwart und die Leiter anderer NGOs und Hilfsorganisationen trafen sich bei einer Art Stammtisch. Alle haben uns sehr nett aufgenommen. 
Das Problem der Sitzung war nur: Sie fand auf Griechisch statt und wir sprechen kein Griechisch.

Eine Italienerin war allerdings so nett und hat die wichtigsten Punkte für uns übersetzt. Hauptsächlich ging es um Events, zu denen Siniparxi eingeladen wurde und den Überblick über das Konto.

Nach dem Meeting hat uns Sterrios, ein ehemalig deutscher Student, welcher ursprünglich aus Lesbos kommt, in seinem Auto zur Wohnung zurückgefahren. Er war fürs Studium sechs Jahre in Deutschland gewesen und ist jetzt wieder nach Lesbos zurückgekommen. Lustig, die Heimat können wir doch nicht so ganz hinter uns lassen.

Selfie mit den Caps der Organisation
nach unserem ersten Arbeitstag mit den Caps von Siniparxi

Das war der erste aufregende Tag unseres Freiwilligendienstes.


Am Dienstag waren wir eine halbe Stunde früher da. Wir haben geholfen, frisches Brot und Bananen in die Essenstüten zu packen und diese in die Autos zu tragen. Vollbeladen sind diese dann um kurz nach 10 zum Camp gefahren. Max durfte mitfahren und bei der Essensausgabe helfen. Alles verlief sehr geordnet und friedlich. Mit dem Vorzeigen einer Essensmarke erhielten die Geflüchteten eine Essenstüte, haben versucht, ihre Dankbarkeit mit Sprache oder Gesten zu zeigen und sind zurück zum Camp gegangen. 

In der Zwischenzeit habe ich Joel, einen Italiener, kennengelernt, der für ein paar Monate auf Lesbos ist und hier hauptsächlich in Rouddys Band Gitarre spielt und Gitarrenunterricht gibt. Er war allerdings auch für den Englischunterricht von Kindern aus dem Camp eingeteilt. 

Als Rouddy meine Nummer einspeicherte und meinen Nachnamen sah, stutzte er. Ben lachte: „In Congo this means the teaching“. Ich war verwundert: Das erste Mal, das mein Nachname irgendwem etwas sagte. Joel freute sich. Das ist genau, was er brauche, meinte er. Er blätterte durch einen Ordner mit der Aufschrift „English Level 1“. Ohne zu zögern fragte er nach meiner Hilfe für den Unterricht. Natürlich willigte ich ein. 
Ich habe zwar keine Ahnung vom Unterrichten, aber für den „English Level 1“ Ordner hat es gerade noch gereicht.

Die ersten Kinder trudelten ein. Mercene, Elvera und Trisila kommen jeden Morgen und bleiben bis Mittags. Als Kinder von Familien mit „special needs“ leben sie nicht im Camp, sondern sind in Wohnungen in der Stadt untergebracht. Dieses Programm wird von einer lokalen nGO organisiert.
Die Mädchen sprechen schon ein bisschen Englisch. Wir haben uns kurz vorgestellt und sind die Farben, das Alphabet und die Nummern bis 20 durchgegangen. 

Dann stürmten 12 weitere Kinder durch die Tür. „Ahhh, the kids from the camp!“, rief Rouddy.

Sie setzten sich an die freien Plätze am Tisch und schauten mich, die gerade an einer provisorischen Whiteboard-Tafel stand und die Zehner in Worten ausgeschrieben an die Tafel schrieb, mit großen Augen an. 

Also darauf waren wir jetzt nicht vorbereitet…

Auch hier probierten wir eine kleine Vorstellungsrunde. Einige Kinder konnten die Sätze „Hello my name is… I am… years old and I am from Congo“ (da kommen alle 12 Kinder her) schon, andere konnten mir gerade so nachsprechen. 

Joel schlug vor, dass die Kinder diese drei Sätze auf kleine Postkarten schreiben sollten. 

Ich schrieb also die Sätze mit Lücken an die Tafel und wir gingen herum und halfen den Kindern. 

Joel hatte sich mittlerweile zurückgezogen und half einem Mädchen dabei, ihren Namen zu schreiben, während ich immer neue Sätze an die Tafel geschrieben habe. 

Max und Antzela, eine weitere griechische Freiwillige bei „RAD Music International“, die vormittags vor Ort ist, halfen den Kindern, die Sätze abzuschreiben. Viele wussten nicht, wie sie ihren eigenen Namen schreiben sollten. Als wir etwas aufgeschrieben haben, was sich nach dem genannten Namen anhörte, haben sie stolz gegrinst und den Namen ganz oft auf den Zettel geschrieben.

Andere waren aber auch schon schnell fertig und schrieben noch auf, was sie später einmal werden wollen oder was ihre Lieblingsfarbe ist. 

Als wir den Unterricht nach eineinhalb Stunden beendet haben, bekamen die Kinder Trinkpäckchen, Brot, Chips und Schokolade von Siniparxi. Rouddy ist es immer wichtig, dass sie nach dem Unterricht versorgt sind.

Dann begleiteten Max und ich sie zurück zur Bushaltestelle, wo sie mit drei „Aufpassern“, die ebenfalls Geflüchtete aus dem Camp sind, zurückfahren sollten. Ein Aufpasser kam zu mir und fragte: „Teacher?“ Das war die Anrede aller Kinder für Joel, Max, Antzela und mich. Unsere Namen waren vielleicht doch etwas schwierig. Ich lachte und sagte: „Not really. I am Celia“. Ob er das als „Ich bin gar keine Lehrerin, sondern eigentlich nur Celia“ verstanden hat, weiß ich nicht, aber auch er freute sich über unser gebrochenes Französisch.

An der Bushaltestelle angekommen fingen die Kinder an Fangen zu spielen. Kinder halt. Es war schön zu sehen, dass einige Verhaltensweisen doch ganz kulturübergreifend existieren. Ein Junge besaß sogar ein Handy und schoss viele Fotos von den anderen und wollte auch Fotos mit uns haben. Dabei ist auch das hier entstanden: 

Englischklasse mit geflüchteten Kindern aus dem Camp
ein Teil der Klasse an der Bushaltestelle

Nachdem die Kinder mit dem Bus davongefahren waren, liefen wir zurück zur Organisation und trafen Joel, der uns erzählte, er würde eigentlich gerne nur Gitarre unterrichten und da wir ja eh viel besser Englisch sprechen, als er und viel besser unterrichten würden, sollten wir doch die Englischklasse übernehmen. 

Er kam mit uns zurück zu Siniparxi, wo Rouddy und er uns dann genau das vorschlugen: Die neuen Englischlehrkräfte für die Kinder zu sein. 

Und Zack, hatten wir eine wichtige Aufgabe in der Organisation. Das hat sich richtig gut angefühlt.

Am Nachmittag lernten wir Dona, eine Iranerin, die seit mehreren Jahren eigentlich in Amsterdam wohnt, kennen. Ihren Workshop „leadership class“ gibt sie immer zuerst auf Farsi für die Afghanen, die zu ihren Kursen kommen und dann auf Englisch für alle anderen. Heute ging es um community building. Dazu gehörte, Talente zu erkennen, eine gute Beziehung zu sich selbst aufzubauen, empathisch zuzuhören und vor allem mutig zu sein. Wir Teilnehmenden sollten dann in der Gruppe eine für uns ideale Community malen. Wir waren eine ganz bunt gemischte Gruppe: Max und ich aus Deutschland, Ben und Rouddy aus dem Kongo, Sophie aus London und Hashmat aus Afghanistan. Und trotzdem hatten wir alle ähnliche Vorstellungen von der Community. Das war schön zu sehen. 

Dona erzählte auch, dass ihre Workshops gerade für Frauen aus den östlicheren Ländern besonders wichtig sind. Am Anfang können diese mit den Begriffen „dein Talent“ und der Frage „Was wünschst du dir im Leben?“ wenig anfangen. Aber mir der Zeit entwicklen sie ihre eigenen Ideen und Ziele. Wie Dona sagt: „There is a change on their face“.

Dona ist ein absolut positiver und fröhlicher Mensch. Sie lebt das, was sie lehrt.

Danach haben wir uns verabschiedet. Das war ein sehr ereignisreicher Tag. Ich habe mich erst einmal darum bemüht, weiteres sinnvolles Unterrichtsmaterial für die Kinder zu besorgen. Das mit den Karten hatte doch viele überfordert. Einige haben einfach nur das „abgepaust“, was ich an die Tafel geschrieben hatte. 


Am Mittwoch haben wir zunächst wieder dabei geholfen, ein paar Foodbags in die Autos zu laden, nachdem wir sie mit Brot bestückt hatten. 

Max hat Rouddy bei Excel-Listen für die Essensausgabe geholfen und ich habe den drei Mädels aus der Stadt, die ursprüngliche aus dem Kongo kommen, Englischunterricht gegeben. Vor allem die Aussprache habe ich mit den Dreien geübt. 

Die Kinder aus dem Camp durften heute nicht kommen. Die Campleitung wollte das nicht. Sie dürfen nur zweimal in der Woche raus, heißt es. Und welche Tage das sind, das entscheidet die Campleitung spontan. Für uns wirklich ärgerlich und unverständlich.

Danach haben wir für Rouddy einige Englischtexte für seine Website überarbeitet, die er vorgeschrieben hatte. Er war sehr dankbar für unsere Hilfe. Er erstellt gerade seine eigene Website, die hauptsächlich auf Englisch existiert und da soll das Englisch natürlich möglichst fehlerfrei sein, wie er sagt. Mittlerweile ist sie auch schon online: www.radmusicinternational.com

Um 17:00 Uhr gab es dann eine griechische Tanzstunde in der Organisation.
Christina war eine sehr kritische Lehrerin und hat Max scharf angewiesen, den Oberkörper gefälligst ganz still zu halten. Als wir da Hand in Hand in einem Kreis getanzt haben, hat sich das schon sehr lustig angefühlt. Drei Anwesende waren Griechinnen, der Rest ausländisch. Und wir haben alle zusammen den Volkstanz gelernt. Rouddys Motto eben: Musik und Tanzen verbindet. 
Und so ungeschickt haben Max und ich uns wirklich nicht angestellt. Spaß hat es auf jeden Fall gemacht!

griechischer Tanzunterricht in der Organisation
Max und ich bei der griechischen Tanzstunde

Donnerstag haben wir wieder mit der kleinen Gruppe von Kindern aus der Stadt Unterricht gemacht. Heute war auch Leo zum ersten Mal dabei. Als wir mit einem Stuhlkreis angefangen haben und ein kleines Fragen-Begrüßungsspiel gespielt haben, hatte er, ganz der „coole“ Junge, gar keinen Bock darauf. Die Kleinste, Trisila, hingegen, obwohl sie große Schwierigkeiten mit den Fragen hatte, wollte immer wieder die Stofftiermaus bekommen, um noch eine Frage zu beantworten.

Fragen mit den Kindern im Stuhlkreis
Stuhlkreis Fragenspiel

Auch die Wiederholung der Farben, das Aufschreiben der Farbnamen ins Heft und das Zeigen des richtigen Farbstiftes zu meiner Ansage, was den Mädels Riesenspaß gemacht hat, haben Leo nicht wirklich interessiert. Als ich dann jedoch die Kinder einzeln an die „Tafel“ gebeten habe, um neben die ausgeschrieben Zahlwörter die Zahlen als Nummern zu schreiben, wollte er direkt alles vervollständigen, war ganz stolz auf sein Wissen und hat die Mädels scharf verwiesen, als diese geredet haben. 

Auch dieses erste „Auftauen“ scheint wohl kulturübergreifend zu funktionieren.

Ben hat uns etwas assistiert. Er hat den Kindern zum Beispiel ein Lied beigebracht, mit dem sie sich die Wochentage besser merken können. Er hat im Kongo Linguistik studiert, was vor allem auch „english teaching“ beinhaltete. Auch da wird mir wieder klar, was die Geflüchteten alles zurücklassen mussten.

Als der Unterricht beendet war und die Kinder gerade gegessen haben, ist Mercene noch einmal zur Tafel gegangen und hat die Farbnamen weggewischt und noch einmal selbst auf die Tafel geschrieben. 

Diese kleinen Gesten haben mir gezeigt, dass mein laienhaftes Lehrerinsein die Kinder doch erreicht. 

Nach einer kleinen Mittagspause hatten wir wieder „leadership class“ bei Dona. Heute ging es um „inclusive and exclusive actions“. Wir haben Beispiele gesammelt, was solche Handlungen sind und wie wir sie selbst erleben. Schnell ist uns allen aufgefallen, dass das Sprechen in einer Sprache, die für andere unverständlich ist, auch dazu gehört. Da mussten wir uns alle an die Nase fassen: Ben und Rouddy sprechen oft Lingala miteinander, Max und ich Deutsch und Hashmat und Nazari Farsi. 

Auch heute haben wir für Rouddy wieder Texte überarbeitet. Hashmat hat mich außerdem darum gebeten, einer jüngeren Afghanin mit ihrem Englisch zu helfen. Sie versteht viel, traut sich allerdings nicht zu sprechen, aus der Angst Fehler zu machen. Ich habe versucht, ihr diese Angst etwas zu nehmen und ihr erklärt, dass wir Deutschen sogar selbst unsere eigene Grammatik nicht immer verstehen und richtig anwenden können. Sie musste lachen. 

Wir haben etwas smalltalk gehalten und abgemacht, dass ich immer mal wieder auf Englisch mit ihr sprechen werde, wenn sie in der Organisation ist. 

Max wurde in der Zwischenzeit von Nazari gebeten, einer Verwandten, die gerade in der Türkei ist, online etwas Deutsch beizubringen. Sie soll wohl bald nach Deutschland kommen und könnte diese Hilfe gebrauchen. Auch dem hat Max natürlich zugesagt. 

Scheint so, als entwickeln wir uns zu heißbegehrten Lehrkräften…

Nachmittags packten wir wieder Foodbags. Dieses Mal jedoch etwas schneller. Diese foodbags waren für Geflüchtete, die in Mytilini leben. Sie haben nicht ganz so viel bekommen, wie die aus dem Camp, da die Foodbags nicht für drei, sondern nur für eine Woche ausreichen sollen. Aber auch hier wurde alles genau gezählt, kontrolliert und abgewogen. Die Foodbags sollten Freitag Abend ausgegeben werden.

Außerdem hat Rouddy uns vorgeschlagen, Deutschunterricht zu geben. Viele der Geflüchtete wollen nach Deutschland, auch das haben wir gemerkt, wenn wir erzählt haben, wo wir herkommen. Ein paar Basics zu können, schadet nicht, meinte Rouddy. Auch dafür sind wir natürlich bereit. 


Freitagmorgen sollten die Kinder aus dem Camp dann wieder zum Unterricht kommen.

Antzela, Max und ich haben sie von der Bushaltestelle abgeholt. Als die Kinder aus dem Bus gestiegen waren und uns gesehen haben, sind sie freudestrahlend auf uns zugerannt, haben „teacher, teacher“ gerufen und uns fest in den Arm genommen. Und zack, hatten wir mehrere Kinder an den Händen und sind gemeinsam zur Organisation gelaufen. 

Besonders Chloe, die noch sehr jung ist, hat direkt versucht, mit mir auf Englisch zu sprechen. Am Dienstag hatte ich viel mit ihr alleine geübt, da sie einfach noch etwas mehr Hilfe benötigte. Ihre Versuche, mit mir zu sprechen, haben mich wirklich gefreut.

Da heute allerdings sehr viele Kinder gekommen waren, hatten wir kaum genug Sitzplätze.

Wir haben wieder in einem Stuhlkreis mit der Vorstellung angefangen und dann die Gruppe geteilt. Mit den Mädels aus der Stadt habe ich noch einmal die Farben wiederholt, mit den Kindern aus dem Camp haben wir ganz simpel erst einmal das Schreiben der Buchstaben und der Ziffern bis neun geübt. Aber auch das war schwierig: Viele haben es überhaupt nicht verstanden, andere haben uns die Zahlen bis 100 und diverse korrekte Sätze aufgeschrieben. 

Es waren aber auch ein Zweijähriger und eine Vierjährige dabei, denen wir einfach Stifte in die Hand gedrückt haben. Sie haben die Buchstaben dann ausgemalt, statt sie nachzuspuren. Das war vollkommen okay. Hauptsache, sie waren bei uns.

Mittags hat Rouddy für die Kinder und uns Volunteers Pizza bestellt. Da sind die Kinder regelrecht drüber hergefallen. Was erstaunlich war: Alle zwei Minuten stand ein neues Kind bei uns und hat uns nach Pizza zum Mitnehmen für seine Familie gefragt. Dem durften wir natürlich nicht nachkommen. Auch als wir die Kinder nach dem Essen zum Bus begleitet haben und jeder einen Lolli bekommen hat, haben sie immer wieder versucht, nach Lollis für ihre Geschwister zu fragen. Auch hier tat es uns weh, abzulehnen.

Kinder essen Pizza in der Organisation
gemeinsames Pizzaessen

Wahnsinn, was die Kinder für ein Verantwortungsgefühl gegenüber ihren Familien haben. 

Ich wusste nicht genau, wie ich darüber denken sollte. Auf der einen Seite ist es sehr selbstlos und solidarisch von ihnen, aber auf der anderen Seite sehr traurig, dass sie überhaupt daran denken müssen. 

In den Momenten merkt man noch einmal, was doch für Unterschiede zwischen ihnen und uns existieren, die man in ihrem sonstigen Verhalten kaum wahrnimmt. So haben sie zum Beispiel zum Zeitvertreib, als wir auf den Bus gewartet haben, Tik-Tok-Tänze getanzt und Lieder gesungen. Vor allem als die Jungs getanzt haben, haben sich alle kaum noch halten können vor Lachen. Auch wenn das vermutlich Tik-Tok-Tänze aus ihrem Herkunftsland waren, konnte ich da doch einige Parallelen zu kindlichem Verhalten europäischer Kinder erkennen. 

Irgendwie eben gleich, aber dann doch ganz anders. 

Ich bin mir auch selbst fast schon böse, wenn ich die Kinder anschaue und mich frage, was sie wohl schon alles erleben mussten. Wie sie hier hingekommen sind, wie sie mit ihren Familien im Camp leben müssen und und und… Ich will den Kindern diese Art von Mitleid auf keinen Fall zeigen. Das brauchen sie wirklich nicht! Aber manchmal komme ich eben doch nicht ganz drumherum, Mitgefühl zu empfinden.

Um 17 Uhr ging dann die Essensvergabe bei uns an der Organisation los. Zwei Afghaninnen waren als Übersetzer vor Ort, Rouddy und ein Freund von „Leave No one Behind“ als Registrierer und wir Volunteers zum Schleppen und Aushändigen. 

Das Ganze war allerdings ein totales Chaos. Viele, die kamen, standen gar nicht auf den Listen und wir mussten sie neu registrieren. Das war auch mit Übersetzer sehr schwierig. Viele, die eigentlich auf den Listen standen, sind allerdings auch überhaupt nicht gekommen und viele hatten ihre „Ausweise“ (so nennen sie das hier wirklich) nicht dabei. Es sind auch einige Geflüchtete gekommen, die eigentlich im Camp leben. Die mussten wir wieder zurückschicken. Rouddy hat ihnen versucht zu erklären, dass die Essensausgabe für das Camp immer dienstags stattfindet und freitags nur für die Stadtbewohner. Sie waren sehr verärgert und haben immer wieder versucht, sich anzustellen. Das war nicht schön zu sehen.

Essensausgabe für Geflüchtete
Essensausgabe für Bewohner von Mytilini

Viele kamen aber auch viel zu spät. Eigentlich endete die Ausgabe um 18 Uhr, aber denen, die um 19 Uhr kamen, konnten wir natürlich die Lebensmittelspende nicht verweigern. Um 19 Uhr waren wir mit den langen Menschenschlangen auch sowieso noch nicht fertig. Das Problem war allerdings, dass wir mit viel weniger Menschen gerechnet hatten und dementsprechend viel zu wenig Tüten gepackt hatten. Wir mussten dann auf die Schnelle noch neue Tüten befüllen, hatten aber kaum noch Essen übrig.

Dann beschwerte sich eine Frau, wieso ihre Freundin Milch in der Tüte hatte, sie aber nicht. Ein „We are so sorry, but we are out of milk“ hat sie auch nicht besänftigt.

Irgendwann mussten wir die Ausgabe schließen. Nur eine Flasche Öl ist natürlich kein Foodbag für eine Woche. 

Über 120 Tüten haben wir an diesem Abend ausgegeben.

Alle, die heute neu registriert wurden, werden auch in die Listen eingetragen und das System geändert, damit das alles beim nächsten Mal besser läuft. Auch da werden wir in Zukunft mithelfen.


Samstag früh ging es für uns wieder an die Arbeit. Rouddy wollte heute seine Website veröffentlichen und hat uns um Hilfe gebeten. Wir sollten die Texte überarbeiten, ihn bei der Bilderauswahl beraten und ihm generell unsere Meinung sagen. Sein Webdesigner kam allerdings zweieinhalb Stunden zu spät. In der Zwischenzeit erzählte Rouddy uns, wieso er aus dem Kongo geflohen ist, was er bisher erlebt hat und wie er damit umgeht.

Seine ganze Arbeit bei Siniparxi ist für ihn vordergründig eine Ablenkung von all dem anderen, was in seinem Leben vorgeht. Wenn Rouddy ein Lebensmotto hat, dann dieses: Pessimismus bringt dich nicht weiter. Er geht an alles positiv und optimistisch heran und verbreitet auch selbst diese Einstellung. Beeindruckend zu sehen, wie er trotz seiner Geschichte so positiv und fröhlich ist. Wie er sagt: ein coping mechanism.

Tonstudio mit Mikrofon und Gitarren
Rouddys Musikstudio

Langsam trudelten mehr Leute ein, die Rouddy heute alle helfen wollten.

Wir haben einen Imagefilm gedreht, der RAD Music International auf verschiedenen Sprachen beschreibt (Max und ich sprechen hier den deutschen und englischen Part), lernten die Band kennen und halfen Rouddy bei der Farbauswahl für seine Website.
Mittlerweile war auch der Webdesigner da. 


Am Sonntag haben wir den langen Fußmarsch auf uns genommen und sind zum Camp gelaufen, um uns einmal ein ungefähres Bild davon zu machen, wofür wir uns hier engagieren. Viel konnten wir nicht sehen und ins Camp rein durften wir schon gar nicht. An den Eingängen stand viel Polizei, die alles genau bewachte.


So ereignisreich und anstrengend hatten wir uns unsere erste Woche beim besten Willen nicht vorgestellt. 

Unsere Hilfe wird gebraucht und dankbar entgegengenommen. Wir haben eine wichtige Aufgabe und können den Menschen viel von uns geben. People help the People eben. Darauf kommt es an.

Und dafür war diese erste Woche perfekt.

vorheriger Beitrag

Athen

Next Story

Lesbos – Woche 2: Manchmal muss man einfach improvisieren