Blick auf das Panecillo
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Unter der Woche habe ich bei der Familie in Quito beziehungsweise in Cumbaya einem Vorort von Quito (ursprünglich San Francisco de Quito) gelebt.

Für fünf Vormittage habe ich unter der Woche eine Sprachschule in Quito besucht, um mein Spanisch noch einmal etwas aufzufrischen. Mich an den ecuadorianischen Akzent zu gewöhnen, welcher sich natürlich von dem Castellano (Spanisch aus Spanien) unterscheidet, was ich in der Schule gelernt habe, war aber gar nicht so schwierig. Im Gegensatz zu anderen südamerikanischen Ländern ist der Akzent in Ecuador noch sehr leicht und generell gut verständlich.

Dennoch hat mir der Unterricht vor allem geholfen, noch einmal Grammatik und Zeitformen zu wiederholen. Ich habe mich sehr gut mit meinem Lehrer verstanden und deshalb haben wir auch oft einfach viel miteinander über Gott und die Welt und nicht nur über die spanische Grammatik gesprochen.

La Floresta in Quito
Ort meiner Sprachschule im Stadtteil „La Floresta“

In der Sprachschule wurden auch für jede Mittagspause Snacks vorbereitet. Am letzten Tag waren das eine typische Süßspeise aus Mais, eine Gries-Tasche mit Hühnchen und eine Art Kuchen. Während wir die Snacks genossen haben, hat ein Lehrer seine Gitarre hervorgeholt und uns das Lied „Cariñito“ beigebracht – „Ein Muss für Jeden“, wir er gesagt hat. Ein tolles Erlebnis.

Snack-Speisen, Ecuador
typische Snack-Speisen aus Ecuador

Aber der Unterricht hat mir auf jeden Fall geholfen, wieder etwas flüssiger zu sprechen und die richtige Zeitform im Gespräch flexibler anzuwenden.


An den Nachmittagen in der Woche habe ich mit der Mutter der Familie und teils auch mit ihrem Lebensgefährten Ausflüge in Quito unternommen. So haben wir einen Nachmittag das casa museo Guayasamín besucht. Hier konnte das Haus und Atelier des Künstlers besichtigt werden. Die Führungen werden von Nachkommen vom Künstler selbst durchgeführt und so konnte unser Führer uns sehr interessante und authentische Informationen vermitteln, mit denen wir auch hinter die offensichtliche Ausstellung schauen konnten.

Guayasamín war ein besonders wichtiger Künstler aus Ecuador im 20. Jahrhundert. Er fertigte vor allem Gemälde und Skulpturen an. 

Seit seiner Kindheit war es begeistert von indigener, kolonialer Kunst und besaß am Ende seines Lebens eine große Sammlung, die heute teilweise in seinem Haus ausgestellt ist. 

Früh hat er selbst angefangen zu malen. Seine Kunst ist eher abstrakt und er hat vor allem viele Porträts gefertigt. Besonders andere Künstler, die er selbst bewunderte, hat er gerne gemalt. In einem Video in dem Museum konnten wir zuschauen, wie er den bekannten Gitarristen Paco de Lucia innerhalb von 10 Minuten porträtiert hat. Seine Herangehensweise hat mich sehr beeindruckt. So versuchte er, in ein Porträt die wichtigsten (nicht optischen) Eigenschaften der porträtierten Person einfließen zu lassen.

Guayasamín war allerdings auch politisch aktiv. Er war Kommunist. Viele Ecuadorianer*innen belächeln dies, weil Guayasamín durch seine Kunst natürlich sehr reich war. Also kein richtiger Kommunist, wie viele hier sagen.

Viele Werke von Guayasamín sind in der ganzen Welt zu finden, nur wenig ist tatsächlich in seinem Heimatland zurückgeblieben. Deshalb hat er sich noch vor seinem Tod dafür eingesetzt, dass sein Haus, sein Atelier und eine besondere Sammlung von Bildern, die nun im Keller seines ehemaligen Hauses und in der Capilla del Hombre ausgestellt sind, in Ecuador bleiben und an das Land übergehen.

Das Haus und die Capilla del Hombre haben wir uns an dem Nachmittag angeschaut.


An einem anderen Nachmittag sind wir ins historische Zentrum der Stadt gefahren. Hier fand sich vor allem eins; viele Kirchen. Im Umkreis von wenigen Hundert Metern konnten wir über zehn Kirchen beobachten. Die Straße, an der viele Kirchen liegen, nennt sich „calle de las siete cruzes“ (Die Straße der sieben Kreuze), weil entlang der Straße sieben verschiedene Kreuze aufgestellt sind. 

Die bedeutsamsten Kirchen sind vermutlich die Basilica del Voto Nacional, die größte der Kirchen, iglesia la Compañia, von außen aus Vulkanstein erbaut und von innen vollständig mit Gold verziert und die iglesia San Francisco, die eine sehr interessante Geschichte hat: So existieret eine Sage, die behauptet, dass der Baumeister Cantuña für den Platz vor der Kirche ein großes Atrium in nur einer Woche errichten sollte. Diesen äußerst schwierigen Auftrag hat er nur angenommen, weil er dringend auf das viele Geld als Entlohnung angewiesen war. Cantuña realisierte allerdings schnell, dass er keine Möglichkeit hatte, den Auftrag in der kurzen Zeit zu bewältigen. Völlig verzweifelt begegnete ihm der Teufel und bat ihm seine Hilfe im Austausch für Cantuñas Seele an. Cantuña willigte ein, bemerkte jedoch schnell, dass er einen Fehler gemacht hatte. 

Um 6 Uhr morgens am letzten Tag der Woche sollte der Teufel mit seiner Arbeit fertig sein und kurz vor der Frist schlich sich Cantuña zum Atrium, nahm einen Stein und schrieb auf diesen, dass nur Gott der wahre Herr über Universum und Seele sei und nahm den Stein mit. 

Am Morgen, als der Teufel die Seele von Cantuña einforderte, bemerkte der Baumeister, dass noch ein Stein fehlte, und als er diesen dem Teufel gab, erschrak der Teufel als Angst vor seinem größten Rivalen, Gott und floh.

Cantuña, der knapp seinem Schicksal entkommen war, änderte seine Meinung über Reichtum und Wohlstand und nutzte das Geld, was ihm nach dem Auftrag nun zustand, für die Verbesserung der Stadt durch Schulen, Krankenhäuser und Kirchen für Diskriminierte.

Diese Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Vor allem, wenn man den Platz besuchen kann, an dem sich die Geschichte abgespielt haben soll.

Mit einer Guide konnten wir sogar den Turm der iglesia San Francisco besteigen. Von dort aus hatte man eine tolle Sicht. Abgesehen davon haben wir auch die ehemalige hauseigene Bier-Brauerei besichtigt. Denn zu der Kirche gehörte früher eine Brauerei. Ich fand es auch äußerst brisant, mir das in einer Kirche vorzustellen. Zu sehen, wie dort damals das Bier entstand war aber durchaus interessant.

Das Kirchenschiff der iglesia San Francisco ist genau wie die iglesia la Compañia viel mit Gold verziert.

iglesia San Francisco, Quito
iglesia San Francisco
Ausblick vom Turm der iglesia San Fransisco, Quito
Ausblick vom Turm der Kirche

Unter der plaza San Francisco wurde vor wenigen Jahren eine U-Bahn-Station errichtet und hierfür mussten alle antiken Steine auf dem Platz entfernt werden. Sie wurden nummeriert, um sie nachher in genau derselben Reihenfolge wieder einzusetzen. Eine Menge Arbeit bei der Vielzahl an Steinen.

Leider fand während unserer Zeit im historischen Zentrum eine Demonstration nahe dem Regierungsgebäude statt. Da die Regierungsgebäude an der plaza grande liegen, war dieser Platz und die beiden umliegenden Straßen gesperrt und wir konnten den Platz erst abends nach der Demonstration betreten. Von der plaza grande aus konnte man auch das Panecillo gut erkennen. Ein Hügel inmitten der Stadt, auf dem die heilige Jungfrau Maria mit Flügeln und einer Schlange zu ihren Füßen thront. Eine besondere Darstellung von Maria.

Wir sind außerdem die bekannte Straße La Ronda herabgelaufen, die normalerweise viel bewandert ist. Da aufgrund der Demonstration allerdings kaum Menschen in das Zentrum der Stadt gelangt sind, war die Straße wie leer gefegt.

Abends sind wir noch in eine rooftop-Bar mit tollem Ausblick über das historische Zentrum gegangen und anschließend in ein etwas weiter entferntes Restaurant mit schönem Blick über die gesamte Stadt. Generell hat man von vielen Gebäuden abends einen traumhaften Blick über die Stadt, da Quito auf bzw. zwischen einigen Bergen liegt.

iglesia San Francisco bei Nacht, Quito
Ausblick der rooftop Bar auf die iglesia San Francisco sowie dessen Platz

An einem anderen Nachmittag haben wie das mitad del mundo-Monument besucht, welches den historischen Punkt der Mitte der Welt mit einem Bauwerk darstellt. Zu dem Komplex des Monuments gehören auch diverse Museen, Souvenir-Shops, Restaurants und eine Kapelle, die außergewöhnlich bunt geschmückt war.

mitad del mundo-Monument, Quito
mitad del mundo-Monument

Die rechnerisch konkretere Linie des Äquators läuft allerdings einige Hundert Meter weiter durch ein Museum. Das Intiñan Site Museum behandelt die Entstehung Ecuadors, indigene Völker, aber natürlich auch die Bedeutung der durch Quito verlaufende Äquatoriallinie. 

rechnerisch korrekterer Verlauf der Äquatoriallinie, Quito
rechnerisch korrekterer Verlauf der Äquatoriallinie

Mit ein paar Spielchen hat uns die Guide den Unterschied der Gravitation und Rotation nahe des Äquators aufgezeigt. Auch wenn die Spiele nur halb echt waren, war es trotzdem sehr beeindruckend. Sich vorzustellen, in der Mitte der Welt zu stehen, war auch an sich schon beachtlich.

In dem Museum bin ich auf eine Tradition der indigenen Völker gestoßen, die etwas gewöhnungsbedürftig ist: tsantsas. Die „Schrumpfköpfe“ waren bis Mitte des 20. Jahrhunderts noch beliebte Mitbringsel aus Südamerika. Vor allem ecuadorianische und peruanische Ureinwohner*innen praktizierten den Brauch dieser besonderen Talismane.

Ursprünglich waren die tsantsas Ausdruck eines mächtigen Kriegers. War der Feind besiegt, wurde sein Kopf mit einer aufwändigen Prozedur von seinem Schädelknochen befreit, geschrumpft, Augen und Mund zugenäht (damit der kriegerische Geist nicht entweichen kann) und bemalt. Es galt: Je mehr Schrumpfköpfe ein Krieger besaß, desto mächtiger war er.

Zwar werden auch heute noch tsantsas angefertigt, allerdings werden hierfür keine menschlichen Köpfe, sondern Faultierköpfe verwendet. 

In dem Museum konnten wir jedoch noch einen menschlichen Schrumpfkopf begutachten. 

tierischer und menschlicher Schrumpfköpfe im Museum, Quito
links ein Fauliter-tsantsa und rechts ein antiker menschlicher Schrumpfkopf

Generell gehen auch die Ecuadorianer*innen gerne Mittagessen. Und das in großem Kreise und großem Maße. Mehrfach war ich mit der Familie bei ihrer Familie oder in anderen Restaurants „almuerza“ (Mittag-) essen. Diese Mittagessen dauern auch gerne bis zum Abend. 

Ich habe aber die Gespräche und generell die Gesellschaft der großen Familie sehr genossen. 

Abgesehen von diesen Aktivitäten habe ich auch mehrfach Zeit mit den Freunden der Söhne verbracht. So fand zum Beispiel das Schauen des Qualifikationsspiel von Ecuadors Fußballnationalmannschaft für die Weltmeisterschaft in großer Runde statt. Obwohl Ecuador verloren hat und wirklich nicht gut gespielt hat, sind sie doch weiter gekommen. So oder so gab es nach dem Spiel eine Feier.

Und ich habe wirklich festgestellt, wie gut mir die Party-Kultur in Ecuador gefällt. 

Ich habe viel getanzt, aber auch viele interessante Gespräche mit den Studierenden geführt. Viele von ihnen waren bereits im Ausland unterwegs, sprechen sehr gutes Englisch oder wollen noch ins Ausland. Diese Internationalität war sehr angenehm. Viele der Befreundeten waren auch sehr musikalisch, haben Klavier oder Gitarre gespielt und Lieder gesungen. Das war ich aus Deutschland natürlich überhaupt nicht gewohnt, fand es aber super.

Natürlich war mir bewusst, dass ich mich die ganze Zeit mit der Familie in den „höheren“ Kreisen von Quito bzw. Ecuador bewegt habe. Das habe ich allein schon daran gemerkt, dass in jedem Haushalt, den ich besucht habe, eine Hausfrau arbeitet, die kocht, die Wäsche macht und putzt. Außerdem verfügt fast jede Familie über einen eigenen Fahrer. Auch für meine Wege zur Sprachschule und zurück hatte die Familie mir einen Fahrer organisiert. 

Diese Art Luxus war für mich doch etwas gewöhnungsbedürftig, in diesen Schichten allerdings sehr normal.

Dieser harte Unterschied zwischen arm und reich, der in Ecuador und auch in Quito direkt nebeneinander zu beobachten ist, ist ein großes politisches Problem. Auch darüber habe ich mich viel unterhalten.

Bei einem Spaziergang durch eine Parkstraße in Cumbaya war das an einer Stelle besonders präsent: Auf der rechten Seite große, modernisierte Luxusvillen auf grünem Gras und nur durch eine dünne Mauer von Favela-artigen kleinen Häusern mit Wellblechdächern und trockenem Boden abgegrenzt. Diesen Unterschied so offensichtlich sehen zu können, war bedrückend.

Meine Zeit in Quito, direkt bei einer Familie (und auch bei einem Kontakt von vor über 30 Jahren) war unvergesslich. Ich hatte eine ganz andere Möglichkeit, die Kultur kennenzulernen, als ich es als normale Touristin gekonnt hätte. Zudem habe ich auch viele Leute in meinem Alter kennengelernt, mit denen ich mich sehr gut verstanden habe. Diese geknüpften Kontakte sind wirklich etwas Besonderes und für diese Möglichkeit bin ich sehr dankbar.

Die Wochen in Südamerika waren unglaublich. Voller neuer Erfahrungen und neuer Kontakte. Ich war zum ersten Mal in Südamerika und ich hätte mir die Zeit nicht besser ausmalen können.

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