Ausflug mit Geflüchteten auf Lesbos

Lesbos – Woche 5: viel Veränderung

Start

Montag bin ich zu Hause geblieben. Über das Wochenende hatte ich mir irgendetwas eingefangen und hielt es für besser, mich am Montag noch auszukurieren.

Max hat aber vom üblichen Tagesablauf berichtet. Nur das heute alles etwas länger gedauert hat, da nur sehr wenige Volunteers vor Ort waren. 

Auch Villy hatte ich für den Nachmittag abgesagt.

Beim abendlichen „group meeting“ schien ich laut Max auch nichts Besonderes verpasst zu haben.


Dienstag war ich aber wieder dabei. Angefangen hat der Tag wie immer mit der Fooddistribution am Camp, für die Max und ich noch die Listen erstellen mussten. Englischunterricht haben wir heute nicht gegeben. Leo und Elvera sind mit ihrer Familie bereits in Athen und Mercene und Trisila mussten mit ihrem Vater wieder zurück ins Camp. Wir finden es sehr schade, dass der regelmäßige Unterricht für die beiden nun wegfällt.

gepackte Lebensmitteltüten
Foodbags für die Essensausgabe am Camp
Umpacken der Säcke mit Kleiderspenden

Mittags haben wir weiter Kleiderspenden sortiert. Alle Spendensäcke mit Winterklamotten, die sonst im hinteren Bereich der Organisation gelagert waren, haben wir jetzt nach vorne geholt. Nun müssen diese nur noch organisiert und für eine Ausgabe im Camp bereit gemacht werden.

Nachmittags haben wir uns noch mit weiteren Listen und anderem „office work“ beschäftigt. So hatte Nazari die Listen für unsere Essensausgabe am Freitag abtelefoniert und versucht zu erfragen, ob die Personen noch in Mytilini leben, ins Camp umziehen mussten oder nach Athen weiterreisen konnten. Er hat nur wenige erreicht, aber die paar Änderungen haben wir in den Listen dennoch vorgenommen. 


Mittwoch begann der Tag mit einer weiteren Fooddistribution. Außerdem wurden wir bei unserer Ankunft in der Organisation erst einmal über die neuen Corona-Verordnungen für Lesbos informiert. Da die Inzidenz nun bei über 80 liegt, gilt jetzt in geschlossenen Gebäuden und auch in der Außengastronomie Maskenpflicht sowie die 3G-Regeln. Die Impfzertifikate müssen nun vorgezeigt werden. Auch diese Regelungen sollen wir jetzt in der Organisation umsetzen. Max hatte dazu Schilder auf Englisch, Farsi, Griechisch und Französisch vorbereitet, die die aktuellen Regeln jetzt an der Eingangstür von Siniparxi erklären. Außerdem darf das Office nur mit Maske betreten werden. Eigentlich auch nur mit Impfzertifikat oder negativem Test, aber das ist bei den Geflüchteten und auch bei unseren Volunteers schwierig nachzuhalten. Viele haben nämlich trotz Impfung kein Zertifikat erhalten. 

Mehrfach haben wir Geflüchtete, die normalerweise einfach den Raum betreten, darauf hingewiesen, vor der Organisation zu warten und ihnen dann die Klamotten oder Lebensmittel vor die Tür gebracht. Das hat aber auch nicht immer funktioniert. Spätestens bei den Kindern enden diese Regeln auch. 

Mit denen starteten wir heute wieder mit Englischunterricht. Sie sind natürlich ungeimpft und ungetestet und auch nicht alle von ihnen tragen eine Maske.

Diese ganzen Regeln streng zu kontrollieren und durchzusetzen liegt eben außerhalb der Möglichkeiten der Organisation. 

Wir haben uns heute wieder mit Lesen und Schreiben der „typical classroom phrases“ beschäftigt sowie mit Bild-, Wort- und Fragekarten.

Kinder schreiben Sätze auf Zettel im Englischunterricht
die Kinder schreiben „typical classroom phrases“ auf

Leider gibt es in unserer Gruppe Zwillinge, die kaum alphabetisiert sind. Auch nach mehrmaligem Üben können sie die Buchstaben nicht erkennen, geben aber leider auch direkt mit einem „I don’t know“ auf. Es ist schwierig, sie dann weiter zu motivieren.

Was mich heute aber besonders gefreut hat war, dass Chloe wieder mit dabei war. Sie hat sich auch total gefreut und jedenfalls das Buchstabenerkennen und Schreiben einigermaßen aufholen können, was die anderen in den vorherigen Wochen erlernt hatten.

Kinder erklären sich gegenseitig die englischen Sätze

Sie hat dann sogar einer Mitschülerin erklärt, welcher Buchstabe wie geschrieben wird.

Nach dem Unterricht haben wir die Kinder wieder mit ein paar Snacks versorgt.

Mittags habe ich mich lange mit Hashmat in einer Art Interview unterhalten. Er hatte wirklich viel zu erzählen über seine Fluchtversuche, sein Leben im alten und im neuen Camp, das Problem bei Asylprozessen und vor allem der Gefühlslage von ihm und anderen Campbewohnern. Alles sehr beeindruckend.

Nachmittags habe ich Villy bei ihrer Sitzung begleitet. Auch heute waren nur drei Frauen anwesend. Eine soll wohl nach Athen geflogen sein und eine andere war krank.

Das Thema waren heute toxische Beziehungen.

Erst ging es los mit der Frage, wie sich die Frauen verhalten bzw. schützen, wenn jemand ihre Grenzen nicht respektiert. Die meisten haben geantwortet, sie versuchen, dieser Person aus dem Weg zu gehen. Keine hat gesagt, sie würde der Person ihre Grenzen erklären. Villy hat versucht, ihnen zu verdeutlichen, dass das in Europa etwas ganz normales und wichtiges ist, weil das Einhalten seiner eigenen Grenzen im Endeffekt der Respekt sich selbst gegenüber ist.

In den Herkunftsländern der Frauen ist es jedoch alles andere als üblich, persönliche Grenzen zu verbalisieren, vor allem nicht als Frau und vor allem nicht gegenüber der eigenen Familie, in der die meisten solcher Respektprobleme existieren.

Wir haben dann über gesunde und toxische Beziehungen gesprochen und diese gegenübergestellt.

Tafel mit Gegenüberstellung von einer gesunden und einer toxischen Beziehung
Gegenüberstellung „gesunde und toxische Beziehungen“

Jeder Frau wollte eine Geschichte über eine toxische Beziehung aus ihrem Leben erzählen. Das hat Villy in ihrem Versuch, einen „safe space“ für die Frauen zu schaffen, bestätigt und uns sehr gefreut.

Viele haben Probleme mit ihrer Schwiegermutter oder der Schwägerin. Sie werden verurteilt, erhalten keinen Respekt und der Ehemann unterstützt sie nicht, da er sich auf keine Seite stellen möchte.

Eine Frau erzählte von einer unglücklichen Beziehung zu ihrem Ehemann. Er zeige ihr keine Liebe. Sie sind schon seit 19 Jahren verheiratet und sie möchte nicht mit ihm über ihre Gefühle sprechen. „Afghanische Männer nehmen das sowieso nicht ernst und lachen dann nur“, kam schnell von einer anderen Teilnehmerin zurück. 

Villy hatte ihr dann versucht zu erklären, dass nur weil ihr Ehemann ihr keine Geschenke kaufe oder sie nicht küsse oder umarme, das nicht heißt, dass er sie nicht liebe.

Sie hat die Frau dann gefragt, ob sie denn ihren Mann liebe. Diese hat das lachend verneint. Da mussten Villy und ich uns kurz sammeln. 

Aber natürlich. Viele Frauen wurden mit ganz jungen Jahren verheiratet. Diese war 15. Wahre Liebe war da vermutlich eher weniger im Spiel…

Eine andere Frau hatte traurig erzählt, dass das Verhältnis zu ihrem Schwager und ihrer Schwägerin nicht gut sei. Sie hatte ihren Ehemann mit 13 geheiratet. Als sie 15 war, ist ihre Schwiegermutter gestorben und die damals noch deutlich jüngeren Geschwister ihres Ehemanns hat sie dann wie eigene Kinder großgezogen. Als diese dann geheiratet und selbst eine Familie gegründet hatten, haben sie sich von ihr abgewandt.
Sie schmerzt das sehr.

Generell war es in dieser Sitzung alles andere als einfach, den Frauen Tipps zu geben, die sie tatsächlich nutzen können, ohne dafür ihre Kultur der im Westen gleichsetzen zu müssen.

Es existieren eben große Unterschiede in den Frauenrollen, den Familienverhältnissen, dem Männerbild und der Kommunikation über emotionale Themen. 


Am Donnerstag haben wir wieder mit dem Englischunterricht der Kinder aus dem Camp begonnen. 

Heute waren nur sechs von ihnen da. Dafür haben wir aber viel geschafft: Wochentage, Farben, Körperteile und den „head, shoulders, knees and toes“ -Tanz. An dem hatten die Kinder großen Spaß.

Ich war wirklich erstaunt, wie konzentriert sie beim Erlernen der Körperteile waren und wie schnell sie diese verinnerlichten.

Annahme der neuen Lebensmittellieferungen

Mittags kam die Lebensmittellieferung für die Essensausgabe am Freitag an. 

Rouddy war ab Mittags für einige Zeit nicht im Office, weil er einige auswärtige Meetings hatte. 

Arbeiten an den Listen und einem Video in der Organsiation

Max und ich haben dann die Listen und Karten für die Essenausgabe am Freitag vorbereitet, während die anderen anwesenden Volunteers bereits angefangen haben, die Foodbags zu füllen.

Leider war die Lieferung nicht gut kalkuliert gewesen. Wir sollten eigentlich 120 Tüten packen, was sowieso viel zu viel gewesen wäre, weil viele der Personen, die vorher in Mytilini gelebt haben, jetzt ins Camp umziehen mussten (und somit ihre Foodbags freitags nicht mehr erhalten). Die Hälfte der Lebensmittel war aber nur für ca. 90 Tüten ausreichend. Mit den Resten der vorherigen Male haben wir versucht aufzustocken…


Freitag haben wir Villy und Christina auf einem Ausflug begleitet. Ausflüge mit Geflüchteten aus dem Camp sind eine der Hauptaktivitäten, die Siniparxi durchführt. 

Dieses Mal hatte Villy mit ihrer Übersetzerin Sedighe afghanische Familien aus dem Camp eingeladen.

Ausflug in einem Reisebus mit Geflüchteten

Siniparxi hatte einen großen Reisebus gemietet und die Familien dann am Camp eingesammelt. Der Tag war perfekt für einen Ausflug: richtig warm und sonnig.

Nahe Kalloni haben wir uns kleine Salzseen angeschaut. Christina hat erzählt, dass das Meerwasser über den Winter in die Becken einläuft und im Sommer dann zu brauchbarem Salz wird. Das Besondere an diesen Salzterrassen sind allerdings die Flamingos, die auf ihnen stehen. Diese konnten wir zwar nicht aus nächster Nähe, dafür aber in freier Wildbahn beobachten.

Anschließend sind wir zu einer Farm auf einem Berg gefahren. Sehr idyllisch gab es hier einen kleinen Zoo, eine große Olivenbaumplantage, bunte Pflanzen und ein sehr schönes Restaurant. Siniparxi hat für jeden Teilnehmenden des Ausflugs ein Mittagessen im Restaurant organisiert. Das war wirklich super.

Vor allem die Kinder haben sich sehr über den kleinen Zoo gefreut.

Es ist wirklich toll, dass die Organisation solche Ausflüge anbietet. So bekommen die Familien (wenn auch nur für kurze Zeit) eine Auszeit aus dem Camp, können sich die Insel anschauen und erhalten vor allem etwas Gutes zu essen. 

Um kurz vor drei waren wir dann wieder zurück im Office und dann ging auch schon die Essensausgabe los.

Wie erwartet war es ungeordneter als die Wochen zuvor. Zwar mussten wenige Menschen ganz neu registriert werden, aber einige, die wir die Woche angerufen hatten und die uns gesagt hatten, dass sie im Camp leben würden, standen dann in der Schlange und haben dieses Mal gesagt, sie würden in Mytilini leben. Viele andere, die wir vorher noch nicht erreicht hatten, hatte Nazari auch als neue Campbewohner identifizieren können. 

Wir müssen also versuchen, diese Ausgabe deutlich besser zu organisieren. Gegenüber vielen anderen, die wir jedes Mal wegschicken, weil sie im Camp leben und keine Karte haben, ist es unfair, denen Essen auszuhändigen, die auch im Camp leben und nur eine Karte haben, weil sie bis vor Kurzem noch Bewohner von Mytilini waren. 

Natürlich ist diese Art der Umstrukturierung aber alles andere als einfach, vor allem, wenn wir keine aktualisierte Liste aus dem Camp haben, in der alle neu registrierten Geflüchteten aufgezeichnet sind. 

Nach der Essensausgabe sind Rouddy, Ben, Max und ich noch zusammen in ein Café gegangen. Rouddy benötigte noch unsere Hilfe bei einem Text für eine Website bezüglich eines Fundraisings für die Veröffentlichung des Albums. 

Wir haben uns außerdem darüber unterhalten, wie wir den Unterricht für die Kinder besser gestalten können. Erst einmal hat Rouddy uns erklärt, dass die Kinder aus dem Kongo nicht zu einer „regulären“ Schule im Camp gehen, weil ihre Eltern das nicht für nötig halten. Max und mir war nämlich aufgefallen, dass die afghanischen Kinder viel besser Englisch und sogar Griechisch sprechen als die Kinder, die wir immer unterrichten. 

Viele Familien aus dem Kongo denken, sie werden die Insel sowieso bald verlassen. Da mache es für sie keinen Sinn, hier mit der Bildung zu beginnen, hatte Rouddy uns erklärt. Ihn frustriert das auch sehr, aber gerade deshalb versucht er mit dem Englischunterricht, den wir aktuell anbieten, diese Kinder zu erreichen, um ihnen eben doch irgendetwas mitzugeben.

Er hat außerdem Schulrucksäcke organisiert. Wir möchten versuchen, den Kindern eine bessere Schulatmosphäre zu vermitteln, auch wenn das teilweise mit oberflächlichen Gegenständen der Fall ist. 

So sollen sie diese Woche alle einen eigenen Rucksack, Stifte und ein Arbeitsheft erhalten. Außerdem möchte Rouddy die Telefonnummern der Eltern aufschreiben und diese dazu ermutigen, mit den Kindern die von uns aufgegebenen Hausaufgaben zu erledigen bzw. den Unterrichtsinhalt zu wiederholen.

Ohne Frage würde das extrem weiterhelfen. 

Rouddy möchte ab jetzt auch eine Art Anwesenheitsliste führen, damit dokumentiert ist, welches Kind wann beim Unterricht war und was in dieser Stunde unterrichtet wurde.

Der ganze Unterricht soll also besser strukturiert werden. Das freut Max, mich und bestimmt auch die Kinder sehr.


Samstag morgen sind wir noch einmal zur Organisation gegangen, um das, was wir den Abend vorher in ausführlicher Textform verfasst hatten, jetzt kurz und knapp als Videobotschaften aufzunehmen. 

Wir mussten lange auf Rouddy warten, da dieser noch einen Termin mit einem Anwalt hatte, um RAD Music International offiziell anerkennen zu lassen und weil er einer Frau mit dem Umzug aus dem Camp nach Mytilini geholfen hatte.

Diese Woche haben Max und ich nachmittags nahe der Burgruine an einem Wanderweg mit schönem Ausblick auf das Meer versucht zu reflektieren und festgestellt, dass in der nächsten Zeit viele Veränderungen auf unsere Arbeit zukommen werden. 

1 Kommentar

  1. Liebe Celia, ich freue mich jeden Sonntag, einen neuen Bericht von Dir von der vergangenen Woche zu lesen. Toll, wie Du schreibst. Ich bin wirklich sehr stolz auf Max und dich. Was ihr erlebt und leistet ist einfach mega. Ihr werdet euer Leben lang davon profitieren.
    Liebe Grüße Sabine Urbitsch.

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